Die Gabe zwischen Alltagsphänomen und zivilgesellschaftlichem Handlungsprinzip

Vilain, Michael (2022): Die Gabe zwischen Alltagsphänomen und zivilgesellschaftlichem Handlungsprinzip. In: Kubon-Gilke, Gisela; Stein, Anne (Hg.): Annäherungen für eine neue Aufklärung. Multidisziplinäre Perspektiven auf Demokratie, Partizipation und Inklusion. Festschrift für Willehad Lanwer. Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 119-147.


Zusammenfassung des Artikels

In der gegenwärtigen Realität unserer Gesellschaft mit der zugrunde liegenden marktwirtschaftlich orientierten Tausch- und Vertragslogik einerseits und der auf Ausgleich und Umverteilung setzenden staatlichen Zwangslogik andererseits mutet ihre Komplexität und soziale Verwobenheit seltsam archaisch an: Gemeint ist die Gabe. Schon ein kurzer Blick auf die beindruckende Wortfamilie lässt ihre außerordentliche kulturelle und sprachliche Bedeutung erahnen: Angabe, Abgabe, Ausgabe, Begabung, Hingabe, Liebesgabe, Morgengabe, Trostgabe, Vorgabe oder die Verben begeben, hergeben, vergeben, vorgeben, wiedergeben u. v. m. Aus einer diachronen Perspektive lässt sich der Gabe-Begriff bereits spätestens seit dem 9. Jahrhundert aus dem althochdeutschen gāba herleiten und bezeichnete dort vor allem das Ergebnis des Vorgangs des Schenkens, das „Geschenk“ also. In diesem Sinne wurde es auch zur Bezeichnung der milden Gabe für „Almosen“ oder „Spende“ und bald auch in anderen Zusammenhängen wie der Medikamentengabe im Sinne der „Dosis“ oder „Portion“ genutzt. Spätestens im Mittelhochdeutschen wurden auch menschliche Fähigkeiten und Eigenschaften wie „Begabung“ oder „Talent“ als Gabe bezeichnet.