Darmstadt / Berlin 11.02.2013
Die Aktive Bürgerschaft e.V. veröffentlicht den Band „Diskurs Bürgerstiftungen. Was Bürgerstiftungen bewegt und was sie bewegen.“ mit einem Beitrag von Prof. Dr. Michael Vilain.
Beim Autofahren leuchtet es ein: Man benötigt ein konkretes Ziel und erarbeitet daraus die Fahrtroute. Der Tank sollte passend zur Dauer der Fahrt gefüllt sein und die Technik funktionsfähig. Bei der Bürgerstiftung heißt dies: Ziele, Strategien und Finanzierung müssen zueinander passen. Diese sind jedoch nicht statisch. Vielmehr kann man deutlich Entwicklungspfade ausmachen.
In der Bürgerstiftung fängt meist alles ganz gut an: Da ist zunächst eine Idee und ein paar Personen, die dieser Idee Leben einhauchen. Soll der Motor in der Pionierphase nicht abgewürgt werden, ist das Miteinander der richtigen Menschen entscheidend. Oft zieht die Idee gerade bedeutende Menschen der Stadtgesellschaft mit hohem sozialen Status an. Sie nutzen ihre Netzwerke und Beziehungen, um die Bürgerstiftung aus der Taufe zu heben. Dabei spielt die Suche nach strategischen Partnern eine wichtige Rolle. Dies können sein: die Kommune, Banken und Unternehmen oder einflussreiche Persönlichkeiten aus der Region. Schaut man sich die Stiftungen in der Praxis an, so haben sie eine Tendenz zur Einbindung eines gehobenen bürgerlichen Klientels, das dann die Bürgerstiftungen schnell in bereits bestehende Netzwerke einbindet. Dieser Ansatz kann anfangs sehr erfolgreich sein, trägt jedoch bereits den Keim späterer Misserfolge in sich. So kann die zu enge Anbindung an einen potenten Partner – so sehr sie in der Pionierphase auch hilft – das spätere Engagement stark hemmen. Zu sehr wird die Bürgerstiftung dann als Projekt dieses Partners gesehen oder gar als Hinterhof bestimmter gesellschaftlicher oder politischer Akteure. Durch Kooptationsmechanismen wird nicht selten dafür gesorgt, dass man in Vorständen, Kuratorien oder Beiräten „unter sich bleibt“. Das bleibt dann später beim Geld und der Mitarbeit leider auch so. Aus der Beratungspraxis ist mir lebhaft ein Beispiel in Erinnerung, in dem das Vorstandsmitglied einer Bürgerstiftung mit seinem Rücktritt gedroht hat, falls bestimmte Berufsgruppen in den Vorstand berufen würden. Sind jedoch die eigenen Netzwerke erst einmal „abgearbeitet“, stellt sich dann die etwas hilflos wirkende Frage nach dem weiteren Vorgehen.
Wurde das Engagement breit aufgestellt und die Bürgerstiftung läuft erfolgreich, stellen sich organisatorische Probleme ein. Die Vielfalt der Aufgaben von der Spendeneinwerbung über die Mittelverwaltung, die Rechenschaftsberichte, die Gremiensitzungen und die Projektarbeit mit zahlreichen Beteiligten verschlingen meist erheblich mehr Ressourcen als ehrenamtlich bereitgestellt werden können. Strategien fehlen oft vollständig oder spielen sich im Kopf Einzelner ab. Die Durchsicht der richtigerweise sehr breit gefächerten Satzungsziele erleichtert die Entscheidung nicht. So macht man gleichzeitig vieles und nichts und verbraucht zu viel Sprit.
Hat sich erst einmal eine Mentalität des „Durchwurstelns“ breitgemacht, die vielleicht sogar durch das außerordentliche Engagement einiger weniger ermöglicht wird, sind weitere Schritte hin zu einer Professionalisierung meist schwierig. Gelegentlich werden sie von heftigen Debatten über den Sinn und Unsinn hauptamtlicher Mitarbeiter getreu dem Motto „kein Euro für die Verwaltung“ begleitet. Dabei ist die Besetzung durch eine ehrenamtliche Geschäftsführung zwar ein guter Start, mit zunehmendem Wachstum jedoch meist keine nachhaltige Perspektive. Der jetzt entstehende Professionalisierungsdruck hat eine weitere schmerzhafte Komponente: Der Einfluss der Gründungspersönlichkeiten nimmt durch eine zunehmende Prozessstandardisierung und den Aufbau von tragfähigen Strukturen ab. Die Pionierphase der Organisation ist vorbei. Nicht jedem Gründer fällt es leicht, dies einzusehen. Gelegentlich finden sich in dieser Phase heftige Auseinandersetzungen in den Gremien und eine Neuausrichtung der Aktiven. Idealerweise gilt es, das Netzwerk der Gründungszeit mit den Erfordernissen einer breiteren Beteiligung der Bürger und dem Aufbau von „Geschäftsprozessen“ zu verbinden.
Die Bürgerstiftung geht den Weg einer zunehmenden Bürokratisierung. Die Regeln für Projekt- und Mittelvergabe stehen fest, die Verwaltung der Stiftung geht einen fest vorgegebenen Weg. Die Stiftung wird als Akteur wahrgenommen und unterhält zahlreiche institutionalisierte Kontakte in das regionale Umfeld. Erfahrungen liegen vor. An dieser Stelle einer erfolgreichen Professionalisierung beginnt die organisationale Sklerose. Die Projektideen gleichen sich, man weiß, was sich erfolgreich „vermarkten“ lässt – im Zweifel Projekte mit Kindern und Jugendlichen und Events zur Mittelgewinnung sowie Preisverleihungen und Ehrungen für die Öffentlichkeitsarbeit. Die Stiftung bleibt in ihren Routinen stecken. Die Bedürfnisse der Bürger spielen nur noch eine untergeordnete Rolle, geht man doch davon aus, dass man immer im Interesse der Bürger handelt. Das Ergebnis zeigt sich dann auch in einer wenig spektakulären Entwicklung der Zustiftungen und Spenden. Hier müssen dann neue inhaltliche Impulse und Beteiligungsformen sowie professionelle Formen des Fundraising her.
In vielen deutschen Gemeinden wurde der Bürgerstiftungsmotor bereits angeworfen. Der Finanzierung in Form von Spenden, Sponsoring und Zustiftungen kommt für die weitere Entwicklung eine Schlüsselrolle zu. Sie ist der Treibstoff der guten Ideen und Projekte. Damit der Motor nicht stottert, ist eine kritische Positionsbestimmung, bei der die Ziele mit der Route und dem Entwicklungsstand der Bürgerstiftung abgeglichen werden, immer wieder erforderlich: Finanzierung braucht Strategie, und Strategie braucht kritische Reflexion.